Komplexität der EU-Taxonomie stellt Banken vor große Herausforderungen
Dr. Hans-Peter Güllich, CEO von Dydon AI, im Interview
Dr. Hans-Peter Güllich ist Gründer und Geschäftsführer von Dydon AI, einem Schweizer KI-Startup mit Fokus auf KI Lösungen für Sustainable Finance. Der Serial Entrepreneur Dr. Güllich ist promovierter Informatiker mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung. Dydon AI hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) und der VÖB-Service GmbH eine KI-basierte Plattform entwickelt, die wirtschaftliche Aktivitäten als umweltverträglich bewertet, um die EU-Taxonomie für nachhaltige Geldanlagen umzusetzen. Im Rahmen eines Interviews hat uns Dr. Güllich erläutert wie die neu entwickelte KI-Lösung funktioniert und welche Herausforderungen Banken und Unternehmen mit der EU-Taxonomie meistern müssen.
28.02.2023
Herr Güllich, wie würden Sie Dydon AI beschreiben? Was genau macht Dydon AI?
Dydon AI ist ein Schweizer Unternehmen, das eine flexible und transparente Plattform für künstliche Intelligenz (KI) anbietet, die auf Fintech, RegTech und Insurtech Lösungen spezialisiert ist.
Die Firma wurde 2016 von Dr. Hans-Peter Güllich gegründet und ist auf ein 15-köpfiges Team angewachsen, das von der Schweiz aus in ganz Europa arbeitet.
An wen richtet sich Dydon AI? Welche Kunden nutzen Ihr Angebot?
Es kommt auf die Lösung drauf an, eins der Hauptprodukte von Dydon AI – das TAXO TOOL - richtet sich an Finanzinstitute, Unternehmen und Consulting Firmen, die Software und Systeme für die Umsetzung der EU-Taxonomie einsetzen möchten. Das TAXO TOOL wurde von Dydon AI in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB), and der Tochtergesellschaft VÖB-Service GmbH entwickelt. Mit dem TAXO TOOL wird die Komplexität der technischen Bewertungskriterien der EU-Taxonomie für Nachhaltigkeit in einem System abgebildet und automatisierte Prozesse werden ermöglicht.
Was beinhaltet die EU-Taxonomie und welche Ziele verfolgt sie?
Die EU-Taxonomie hat zum Ziel, Finanzierungen in ökologisch nachhaltige Aktivitäten zu lenken. Dies erfordert auch, dass es prüfbare Kriterien darüber gibt, was unter ökologisch nachhaltig näher zu verstehen ist. Dazu gehören neben gesetzlichen Vorgaben vor allem auch definierte Grenzwerte, wie zum Beispiel maximale CO2-Emissionen, die pro Wirtschaftsaktivität festgelegt sind.
Diese regulatorischen Vorgaben sind hierbei auf insgesamt sechs definierte Klimaziele ausgerichtet:
- Klimaschutz,
- Anpassung an den Klimawandel,
- nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeres-Ressourcen,
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie
- Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Welche sind die Herausforderungen der Banken und Unternehmen mit der EU-Taxonomie?
Die Komplexität der EU-Taxonomie und dessen Umsetzung stellen sowohl Banken als auch Unternehmen vor einige und zudem auch noch sehr komplexe Herausforderungen.
Was die Banken betrifft, kann man hier verschiedene Punkte identifizieren:
1) die aktuellen internen Prozesse der Banken müssen angepasst werden, es wird diskutiert an welcher Stelle die EU-Taxonomie Bewertung stattfinden sollte,
2) die Dokumentationsanforderungen steigen enorm und dessen Verwaltung, dies könnte sich auf die Zeit auswirken, die für den Abschluss z.B. von Kreditanträgen benötigt wird,
3) wie erwähnt, definiert die EU-Taxonomie, feste und prüfbare Kriterien ob eine Wirtschaftsaktivität ökologisch nachhaltig ist und dies bzgl. sechs definierter Umweltziele. Der damit verbundene Prüfprozess ist enorm komplex und teilweise sehr aufwändig.
4) die Kosten für die Entwicklung von IT-Tools, da die neuen Prozesse von der IT-Infrastruktur der Banken aufgefangen werden müssen und die bestehenden Dienstleistungen für ESG reichen nicht mehr aus, um Kunden auf der Grundlage der EU-Taxonomie zu bewerten.
Und nicht zuletzt kommt das Fehlen standardisierter und vergleichbarer Daten: Die Bewertung der Angleichung von KMU-Geschäftstätigkeiten an die EU-Taxonomie erfordert häufig manuelle und individuelle Eingriffe, die sowohl für KMU als auch für Banken ineffizient und kostspielig sind.
Das Engagement der europäischen Banken gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) - und "wir sprechen hier nicht von ein paar Tausend Firmenkunden, sondern von Hunderttausenden oder Millionen von Kunden" - stellt bei der Anwendung der EU-Taxonomie eine kritische Herausforderung dar, da für diese Art von Unternehmen oft keine Daten verfügbar sind.
Was bedeutet Digitalisierung der EU-Taxonomie?
Die Digitalisierung der EU-Taxonomie gehört zum Bereich des RegTech, also Technologien, die eine höhere Agilität und Geschwindigkeit bei der Bewältigung regulatorischer Anforderungen ermöglichen.
Was wir mit dem TAXO TOOL gemacht haben, ist die Digitalisierung der EU-Taxonomie-Verordnung und bestand als erster Schritt darin, die Komplexität der Regulierung in logische Entscheidungsbäume zu übersetzten, die eine einfache Bearbeitung der jeweiligen Bewertung sowohl für Bankangestellte während des Kreditantragsprozesses als auch für Unternehmen bei der Eigen-Bewertung hinsichtlich der EU-Taxonomie ermöglichen.
Zweitens mussten wir das Dilemma des Datenmangels überwinden, indem wir entsprechende Modelle zur Berechnung der Kohlenstoffemissionen einführten, die auf verfahrenstechnischem Wissen basieren. Das macht einen großen Unterschied, wenn es um Fälle mit fehlenden Daten geht, wie es bei KMU oft der Fall ist.
Und drittens haben wir unseren Natural Language Processing (NLP)-Stack verwendet und erweitert, der es uns ermöglicht, Texte und Antworten aus verfügbaren Dokumenten, die das zu bewertende Projekt betreffen (z. B. Energieausweise für Gebäude), zu erfassen und zur Bewertung automatisch verwenden.
Kann der Bewertungsprozess automatisiert werden?
Ja bis zu einem bestimmten Level. Das ist genau das Ziel, was wir mit dem TAXO TOOL versuchen zu erreichen und den Banken und Unternehmen anbieten. Die Komplexität der EU-Taxonomie kann durch die Automatisierung vereinfacht und beschleunigt werden.
Wird die EU-Taxonomie auch Auswirkungen auf die KMUs oder Privatkunden der Banken haben?
Kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter sind verpflichtet, den Grad der Nachhaltigkeit im Geschäftsbericht auszuweisen aufgrund der EU-Taxonomie-Verordnung. Doch sofern ein Kreditinstitut nach der EU-Taxonomie verfahren möchte, so muss es seit Jahresanfang 2023 bei der Kreditvergabe jeden Kredit daraufhin prüfen, ob das finanzierte Projekt bzw. die damit verbundene Wirtschaftsaktivität auch grün ist nach den Vorgaben der EU-Taxonomie. Das gilt nicht nur für Firmenkunden, sondern auch beispielsweise beim Immobilienkauf durch Privatpersonen. Früher wurden die Bonität des Schuldners geprüft, das Objekt vom Restwert her betrachtet und so das Risiko bestimmt. Nun erweitert sich die Objektbetrachtung um die Frage, ob es ’grün’ ist im Sinne der Taxonomie.
Herr Güllich, wir danken Ihnen für das Gespräch.